Der Ratzeburger Sportverein von 1862 e.V. feierte 1987 seinen 125. Geburtstag. Das ist wohl Grund genug, sich seiner langen und wechselvollen Geschichte einmal rückblickend zu erinnern. Doch die Geschichte eines Geburtstagskindes nachzuzeichnen, das wesentlich älter ist als der Schreiber selber, stößt von vornherein auf verschiedene Hindernisse. So kann man den Jubilar nämlich kaum selber befragen - höchstens zu seiner jüngsten Geschichte. Bei allem, was noch weiter zurückliegt, ist man auf Zeugen dieser Zeit, das heißt, auf ältere Vereinsmitglieder und Sportfunktionäre, auf Urkunden, Fotos, Protokolle und Chroniken angewiesen, die eben, und das liegt in der Natur der Sache, nur mehr oder weniger zufällig vorhanden, oft ungenau oder gar lückenhaft sind. Zudem sind aus bestimmten Jahren so gut wie überhaupt keine brauchbaren Unterlagen vorhanden; sei es, dass man an ihrer Erhaltung kein Interesse gehabt zu haben schien oder dass man schlicht unbedacht mit diesen doch wertvollen Zeugnissen ihrer Zeit umgegangen ist. Ich denke bei diesem Problem z. B. an die Kriegsjahre oder an den Abriss der alten Sportplatz-Baracke vor dem Neubau des Jugend- und Sportheims.
Wie dem auch sei, ein Chronist, der sich um die Vereinsgeschichte des RSV bemüht, weiß um diese Schwierigkeiten und wird dennoch versuchen, auf den folgenden Seiten einmal nachzuvollziehen, dass es in Ratzeburg schon immer sportbegeisterte Menschen gab, und das mindestens schon seit 125 Jahren!
Die Geschichte des Ratzeburger Sportvereins begann zwar im Jahre 1862, Sport jedoch – und das hieß zu dieser Zeit lediglich körperertüchtigendes Turnen – wurde bereits lange vorher betrieben. Das geschah aber nicht in Vereinen, sondern privat und in kleinen Gruppen. Die Gründe dafür lagen einerseits in der Entstehung einer neuen Arbeiterschicht, die im Industriezeitalter hier im Turnen einen Ausgleich zu der meist eintönigen Fabrikarbeit suchte, andererseits aber zugleich im wehrpolitischen Denken jener Jahre, die nicht nur zufällig zusammenfielen mit den Befreiungskriegen gegen die Besetzung des Landes durch Napoleon.
Mit Beginn des ersten Weltkrieges erlosch jedes sportliche Leben in Ratzeburg fast völlig. Das Interesse der Menschen galt damals zweifellos mehr den im Felde stehenden Männern als dem sportlichen Wettkampf. Das einzige Erwähnenswerte aus dieser ziemlich düsteren Periode unserer Geschichte ist der Umzug der wenigen verbliebenen Sportler von der Halle des Gymnasiums in diejenige der neu erstellten Insel-Volksschule.
Kriegsende 1945, verflogen der Rausch vom 1000jährigen Reich, zerplatzt der Traum Hitlers von einer Weltherrschaft. Stattdessen millionenfaches Leid, Hunger, Not und Elend, ein geteiltes Land, zerstörte Städte, Kriegsgefangenschaft, Besatzer-Willkür und immer mehr Flüchtlinge. Aber so grauenhaft diese Kurzbilanz nach 12 Jahren Diktatur auch war, so unglaublich es klingen mochte, Gewaltherrschaft und Krieg hatten zwar viele Menschen innerlich gebrochen, sie hatten aber nicht den sportlichen Gedanken als zwischenmenschliches übernationales und Frieden stiftendes Verständnismittel zerstören können.
Und so wunderte es kaum, dass bereits 1945, nachdem zunächst alle Sportvereine von den britischen Besatzungsbehörden gezwungen worden waren, sich selber aufzulösen, kurze Zeit später die Freie Turnerschaft wieder auflebte, Verhandlungen mit dem MTV begannen und schon ein Jahr danach der TSV Ratzeburg gegründet wurde, der dann in den Ratzeburger Sportverein e.V. (von 1862) umbenannt wurde. Damit gab es nun mit der Zustimmung der Engländer endlich wieder eine einheitliche, gemeinsame, viele Sparten umfassende, demokratische Sportorganisation in unserer Stadt.
Zwischen 500 und 600 Mitglieder umfasste der RSV in den ersten Nachkriegsjahren, davon 50 bis 65 Prozent Jugendliche. Breit war schon jetzt die sportliche Angebotspalette: Fußball, Handball, Leichtathletik, Turnen mit Faustball, Tischtennis, Boxen, Schwimmen, Kegeln, Federball und Versehrtensport. Die Gründung einer Fechtsparte ließ sich vorerst nicht realisieren; Boxen und Schwimmen mussten bald mangels Beteiligung wieder aufgegeben werden. Dennoch entwickelte sich der RSV in wenigen Jahren - nicht zuletzt durch die nie ermüdende selbstlose Mitarbeit ungezählter Helfer, Förderer und Sportkameraden - zu einem angesehenen Großverein, der im sportlich-kulturellen Leben unserer Stadt eine hervorragende Rolle spielte. Dieses Wachstum ließ sich auch ablesen an der Anzahl und dem Ausbau der Übungsstätten, Turnhallen und Sportplätze, unabdingbare Voraussetzung jeder sportlichen Betätigung.
In diese Nachkriegsjahre fielen jedoch neben der Wiederaufnahme des Spielbetriebes in verschiedenen Sparten auch vereinsinterne, vorwiegend finanzielle Schwierigkeiten. So mussten z. B. 1949 alle Spartenleiter auf die Einhaltung von Satzungsbestimmungen, Versammlungsbeschlüssen und Prüfungsbeanstandungen hingewiesen werden. Dazu kam die dringende Erneuerung von Sportanlagen und deren Inventar: Für die städtische Turnhalle sollten damals Geräte für immerhin über 3000,- DM beschafft werden. Und an einheitliche Spielkleidung für die Mannschaften wagte noch niemand zu denken; zu teuer wäre sie gewesen.
Dies war der erste von der Mitgliederversammlung am 25. Mai 1949 neu gewählte Vereinsvorstand, des Jahres also, in dem kurz darauf die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde:
1. Vorsitzender: Karl Saalfeld
2. Vorsitzender: Hugo Erdmann
3. Vorsitzender: Willy-Otto Schulze
Hauptkassierer: Karl Lattke
Jugendwart: Emil Kähler
Ein Jahr später übernahm dann Emil Kähler den Vorsitz. Zu dieser Zeit hatte der RSV immernoch ca. 600 Mitglieder, davon zwei Drittel Jugendliche. Mit acht Fußball-, fünfe Handballmannschaften, einer namhaften Leichtathletikgruppe und mehreren leistungsfähigen Turnriegen bezeichnete sich der Verein selber in einem Eintrittsformular als größte sportliche Gemeinschaft in unserer Stadt. Der Monatsbeitrag betrug übrigens 1,- DM, eingesammelt noch von kassierenden Boten.
In diese Zeit des langsamen Neubeginns, des Suchens nach weiteren Hallenstunden, des Ausbaus des Platzes an der Mechower Straße, fielen die ersten Auslandskontakte, z. B. zwischen den Handballern und schwedischen Sportlern im Jahre 1951. Sogar bis in die seinerzeit noch junge DDR reichten die über den Sport geschlossenen Freundschaften: Im Sommer 1951 besuchte eine Stralsunder Boxstaffel unseren Verein und ein Jahr später der Ostzonen-Sportverein BSG Traktor Wittenburg. Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten war eben noch nicht so dicht wie heute.
Die Teilnahme von RSV-Sportlern an Gau-Turnfesten 1953 in Hamburg oder aber die jährliche Durchführung der Ratzeburger Sportwoche bewiesen inzwischen eindrucksvoll den Stellenwert des Vereinslebens in unserer Stadt und auch dessen Wirkung nach außen. 1954, also erst neun Jahre nach dem Zusammenbruch, betrug der Jahrestat des RSV schon fast 10.000,- DM.
Nun begann - parallel zum sogenannten Wirtschaftswunder - der eigentliche Aufstieg des RSV zu seiner heutigen Größe. Ich möchte diesen Zeitraum, nämlich die nächsten 30 Jahre unserer Vereinsgeschichte, in einer anderen verkürzten Form darzustellen versuchen, zum einen aus Platzgründen, zum anderen aber hauptsächlich deswegen, weil viele Einzelheiten aus dem sportlichen Vereinsleben ohnehin in den Abteilungsberichten auftauchen. Dass die Auswahl der Ereignisse dabei aus diesen Gründen willkürlich ist und lückenhaft bleiben muss, möge man mir nachsehen.
1956 Der Sportplatz an der Mechower Straße mit den Tribünen wurde feierlich eingeweiht.
1957 Eine Baracke wurde daneben aufgestellt mit Umkleide-, Dusch- und Nebenräumen.
1958 Einweihung des Sportheimes nach vorheriger Instandsetzung durch die Sparten.Wer nicht mithalf, z. B. beim Reinigen, musste zahlen oder wurde in sportlicher Hinsicht gesperrt.
1959 Eine Lichtanlage (Flutlicht) wurde installiert.
1960 Die Baracke erhielt erst jetzt eine Heizung, Ölöfen natürlich.
1961 Mangel an Hallenstunden (die Below-Halle des BGS stand zeitweise nicht zur Verfügung), Erhöhung der Hallenmieten, großer Mangel anTrainern, Betreuern oder Wandersportlehrern als Ersatz, das alles führte zur Anhebung des Mitgliedsbeitrages einerseits sowie zur teilweisen Einschränkung des
Übungsbetriebes andererseits, z. B. beim Kinderturnen.
1962 Der RSV wurde 100 Jahre alt. Zusammen mit der Stadt, die gleichzeitig ihre 900-Jahr-Feier beging; mit Festschrift, Kommers und unterhaltsamem Programmteil wurde dieser Anlass würdig ausgestaltet.
1963 Die große Zündholz-Baustein-Aktion lief an, jedoch nur mit geringem Erfolg.(Damals sollte unter Sportlern eine sehr große Menge an Zündholz-Briefchen
vertrieben werden, sodass dann der Verein in den Genuss eines höheren Gewinns von seiten des Herstellers dieser Zündhölzer gekommen wäre.)
Die Mitgliederzahl war trotz Gründung einer Eislaufsparte erstmalig stark rückläufig, sodass im Vorstand über die Einrichtung von Tanz-, Skat- und Kegelabenden zur Intensivierung des Vereinslebens nachgedacht wurde.
1964 Die Geschäftsstelle des Vereins zog ins Sportheim um. Ein Telefonanschluss sollte folgen. Für eine Schreibkraft war ein Stundenlohn von 2,- bis 2,50 DM vorgesehen.
1965 Die Mitgliederbeiträge wurden erstmals im Einzugsverfahren abgebucht, was sich jedoch in der Durchführbarkeit als außerordentlich schwierig erwies: Die
Außenstände stiegen nämlich beträchtlich!
1966 Der langjährige 1. Vorsitzende, Emil Kähler, schied aus gesundheitlichen Gründen aus dem Vorstand aus. Er erhielt wegen seiner außergewöhnlichen Verdienste um den RSV den Ehrenvorsitz angetragen.
1967 Der Platz an der Mechower Straße wurde um eine Kleinfeldanlage erweitert. Die Folge davon: Die Zuschauerzahlen stiegen, damit zusammenhängend leider aber auch die Klagen über undisziplinierte Sportkameraden unter den Zuschauern.
1968 Mitglieder-Rekord beim RSV: 703!
Die Ski-Sparte wurde gegründet, ebenso eine Judo-Sparte.
1969 Gründung des Jugendspielmannszuges im RSV; der Verein hatte bereits 798 Mitglieder.
1970 Zum ersten Mal tauchte die Idee zum Neubau eines massiven Sportheimes auf, anstelle der Baracke. Der Volkslauf wurde erstmalig unter der Regie des RSV durchgeführt. Und der Spielmannszug trat in der Öffentlichkeit auf.
1971 13 Fachsparten bzw. Abteilungen gab es bereits im RSV: Volleyball, Versehrtensport, Turnen, Tischtennis, Jugendspielmannszug, Skilauf, Rollkunstlauf, Leichtathletik, Kegeln, Judo, Handball, Fußball und Volkslauf.
Ulrich Bojert wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt.
1972 Der Jahrestat des Vereins belief sich bereits auf ca. 50.000,- DM. Die Rollkunstlaufsparte löste sich leider auf; Judo verselbstständigte sich. Heinz Hoefner wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt.
1973 Im Zusammenhang mit dem Bau der Schwimmhalle am Küchensee wurde die Wiedergründung einer Schwimmsparte erwogen. Das erste "Insel-Turnier" (Tischtennis) wurde veranstaltet.
1974 965 Mitglieder waren im RSV, dem schon seit längerer Zeit größten Verein in Ratzeburg. Ernst-A. Lücke wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt.
1975 Das Jugend- und Sportheim in der Riemannstraße wurde errichtet.
1976 Der RSV hatte bereits 1100 Mitglieder. Ein VW-Bus für Jugendfahrten wurde beschafft. E. A. Jobmann wurde zum 1. Vereinsvorsitzenden gewählt.
1977 Der vielen Sportkameraden unvergessene Ernst Panknin verstarb im November. Er war Wiederbegründer des RSV nach dem letzten Krieg, Initiator des Ratzeburger Volkslaufes und einer der letzten großen Sportidealisten.Erstmals wurde ein RSV-Dankfest für die vielen ehrenamtlichen Helfer veranstaltet. Übrigens konnte inzwischen das 1500. Vereinsmitglied begrüßt
werden.
1978 Der Riemann-Platz, so wurde von seiten des Vereins festgestellt, bedürfe umfangreicher Sanierungsarbeiten.
1979 Die Planung für die neue Riemannhalle lief an. Folgende Großveranstaltungen wurden vom RSV u. a. durchgeführt:
- Frühlingsschwimmen
- 12. internationaler Ostervolkslauf
- 5. internationales Fußball- Jugendturnier
- 7. internationales Tischtennis - Inselturnier
- Volkswandern
- Großturnier der Handball-Abteilung
1980 Die Mitgliederzahl pendelt sich bei 1700 ein, davon zwei Drittel Jugendliche, die in 14 Abteilungen Sport treiben.
1981 Der langjährige 1. Vorsitzende und spätere Ehrenvorsitzende Emil Kähler starb am 24. August 1981.
Auch am Fuchswald bei der Lauenburgischen Gelehrtenschule entstand - wie an der Riemannstraße - eine moderne Dreifelder-Großsporthalle.
1982 RSV-Sportler errangen in verschiedenen Abteilungen und Disziplinen insgesamt 133 Kreismeisterschaften (darunter 17 Mannschaftsmeisterschaften), etliche Bezirksmeisterschaften und sogar 22 Landesmeisterschaften.
Die Riemann-Halle wurde fertiggestellt, jedoch blieb am gegenüberliegenden Riemann-Platz noch vieles im argen. Auch kündigte sich zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit eine finanziell schwierigere Zukunft für den Verein an wegen der angespannten Kassenlage der öffentlichen Haushalte.
1983 Zwei neue Abteilungen entstanden: Basketball und Badminton.
Der Vereinshaushalt näherte sich der 200.000,- DM-Grenze. Die
Mitgliederbeiträge konnten durch eine solide Kassenführung noch stabil gehalten werden, obwohl z. B. die Höhe der Spenden stark zurückging und auch die Zuschüsse teilweise stagnierten.
Erstmalig wurde der Emil-Kähler-Gedächtnispreis vergeben (Ulf Reinhold).
Dies waren die mitgliederstärksten Abteilungen im RSV:
1. Turnen/Gymnastik: 409 Mitglieder
2. Fußball: 346 Mitglieder
3. Tischtennis: 246 Mitglieder
4. Handball: 175 Mitglieder
5. Leichtathletik: 139 Mitglieder
6. Schwimmen: 114 Mitglieder
Diese Zahlen bezogen sich auf einen Gesamt-Mitgliederbestand von 1787. Nach wie vor waren zwei Drittel der Mitglieder Jugendliche, von denen besonders die Gruppe der 6-14jährigen Kinder und Jugendlichen stark vertreten war, gefolgt von den 15-18jährigen Jugendlichen.
1984 Der RSV hatte 2000 Mitglieder. Eine Sportschau wurde in der Riemann-Halle veranstaltet, die einen Querschnitt durch viele Abteilungen des Vereins zeigte und zu einem großen Erfolg wurde. Die Kehrseite dieses Erfolges: die Suche nach ehrenamtlichen Helfern und Übungsleitern.
1985 Triathlon und Sport für Koronargeschädigte wurden die jüngsten Abteilungen. Zusammen mit der Kreissparkasse und der Landesbausparkasse wurde am Küchensee ein großes Spielfest veranstaltet.Mehr als jemals zuvor fehlte dem Verein mindestens ein weiterer Raum im Jugend-und Sportheim in der Riemannstraße. Der Raum "Ribe" war für den inzwischen 35köpfigen Gesamtvorstand längst schon viel zu klein geworden.
Eine besonders schöne Anerkennung für den in unserem Verein betriebenen Sport erhielt der RSV durch den Kultusminister des Landes Schleswig-Holstein überreicht: die Sportplakette des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.
1986 Vereinsinterne Vorbereitungen für das 125jährige Jubiläum begannen mit der Konstituierung eines Festausschusses und der Programmplanung. Gleichzeitig begannen zwei Probleme immer heftiger zu drücken: Finanzielle Engpässe verlangten nach einer Erhöhung der Mitgliederbeiträge in nächster Zukunft, und die ungelöste Raumfrage rückte immer mehr in den Vordergrund
von Beratungen und Verhandlungen.
1987 Das Jubiläumsjahr ist da! Der Ratzeburger Sportverein von 1862 e.V. feiert sein 125jähriges Bestehen. Parallel zum Jubiläum der Stadt Ratzeburg (925 Jahre) kann der größte Verein dieser Stadt auf eine lange, wechselvolle Geschichte
voller Höhen mit Stolz und auch mancher Tiefen zurückblicken.
Besonders attraktive Großveranstaltungen, organisiert von verschiedenen Abteilungen, sowie als Höhepunkt eine sommerliche Festwoche verleihen
diesem Ereignis einen würdigen Rahmen.